Beim Immobilienkauf geht es nicht nur um die Lage, den Zustand oder die Ausstattung. Die Wohnfläche ist der entscheidende Faktor, der den Preis bestimmt. In Deutschland kostet ein Quadratmeter Wohnfläche im Durchschnitt 4.500 Euro - das bedeutet: Eine Abweichung von nur 10 Quadratmetern kann bis zu 45.000 Euro ausmachen. Und das ist kein theoretisches Szenario. Tausende Käufer entdecken nach der Übergabe, dass die tatsächliche Wohnfläche deutlich kleiner ist als im Vertrag angegeben.
Doch was passiert, wenn die Fläche nicht stimmt? Wer trägt die Beweislast? Und wie können Sie sich vor Überraschungen schützen? Die Antwort liegt nicht in der eigenen Schätzung, sondern in der Rechtslage, den Berechnungsmethoden und den richtigen Belegen.
Die Wohnflächenverordnung (WoFIV) ist seit 2014 die gesetzlich verbindliche Regel für die Berechnung der Wohnfläche in Deutschland. Sie definiert genau, welche Räume mitgezählt werden und wie. Nichts davon ist freiwillig - im Kaufvertrag muss die WoFIV explizit genannt werden. Wer stattdessen auf die DIN 277 verweist, macht sich rechtlich angreifbar.
Die WoFIV berechnet die Wohnfläche nur aus lichten Maßen: Das heißt, die Wanddicke zählt nicht. Räume unter 1 Meter Höhe werden gar nicht angerechnet. Zwischen 1 und 2 Metern Höhe nur zur Hälfte. Über 2 Metern zu 100%. Balkone, Terrassen und Loggien werden typischerweise mit 25% angerechnet - höchstens 50%, wenn es sich um hochwertige Ausführungen handelt, wie das Oberlandesgericht Karlsruhe 2019 klargestellt hat.
Im Gegensatz dazu zählt die DIN 277 Keller, Heizungsräume, Abstellflächen und sogar Treppenräume zu 100% zur Wohnfläche. Das führt zu Differenzen von 5 bis 15%. Und das ist kein kleiner Unterschied - das ist ein Preisunterschied von mehreren zehntausend Euro.
Ein Fehler bei der Wohnflächenangabe ist kein bloßer Irrtum - er ist ein Sachmangel gemäß § 434 BGB. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) 2015 klar festgelegt: Wenn die tatsächliche Fläche geringer ist als vertraglich vereinbart, liegt ein Mangel vor. Und der Verkäufer muss das belegen.
Es gibt keine feste Toleranzgrenze von 10%. Das ist ein weit verbreiteter Irrtum. Der BGH sagt: Schon Abweichungen von 3 bis 5% können eine Kaufpreisminderung rechtfertigen, wenn die Wohnfläche vertragswesentlich ist - und das ist fast immer der Fall. Ein Gutachten der Universität Regensburg (2021) zeigt: 37,8% der angegebenen Wohnflächen in Immobilienanzeigen sind übertrieben - im Schnitt um 8,2%. Das ist kein Zufall, das ist systematisch.
Ein Käufer aus Köln hat 2021 eine Wohnung mit 111,59 m² gekauft - die tatsächliche Fläche betrug nur 96,39 m². Die Abweichung: 15,2 m². Das Landgericht Köln ordnete eine Kaufpreisminderung von 12,8% an. Das sind fast 60.000 Euro bei einem Kaufpreis von 470.000 Euro. Kein Einzelfall.
Ein Kaufvertrag ohne Berechnungsnachweis ist ein Risiko. Der Verkäufer muss nicht nur die Wohnfläche nennen, sondern auch angeben, nach welcher Methode sie berechnet wurde - und zwar schriftlich. Die einfachste Regel: Im Vertrag muss stehen: „Die Wohnfläche wurde nach der Wohnflächenverordnung (WoFIV) berechnet.“
Dazu gehört ein detaillierter Berechnungsnachweis als Anlage. Das ist kein Luxus - das ist Pflicht. Der Nachweis muss zeigen, wie jede Fläche ermittelt wurde: Welche Räume sind enthalten? Welche Dachschrägen wurden wie berücksichtigt? Wo liegt der Balkon? Wie viel davon wurde mit 25% angerechnet?
Wenn der Verkäufer nur eine Grafik oder eine grobe Skizze beifügt, ist das kein gültiger Nachweis. Der Deutsche Notarverein hat 2022 festgestellt: 65% der Streitigkeiten entstehen, weil der Verkäufer die Methode nicht korrekt benannt oder den Nachweis nicht erbracht hat. Ein Gutachter kann das in einer Stunde überprüfen - und das ist viel billiger als ein Rechtsstreit.
Ein professionelles Wohnflächengutachten kostet zwischen 800 und 1.500 Euro - je nach Größe der Wohnung. Das klingt viel, ist es aber nicht. Warum? Weil eine Abweichung von nur 5% bei einer 100 m²-Wohnung im Durchschnitt 22.500 Euro ausmacht. Ein Gutachten lohnt sich also bereits bei einer Abweichung von 5 Quadratmetern.
Die meisten Käufer warten, bis sie die Wohnung übernommen haben. Dann ist es zu spät. Der BGH hat klargestellt: Der Käufer muss den Mangel innerhalb einer angemessenen Frist nach der Übergabe rügen. Aber: Wenn er den Mangel nicht vor Vertragsabschluss prüfen lässt, kann er später nicht mehr behaupten, er hätte nicht gewusst.
Ein Käufer aus München hat 2023 ein Gutachten für 1.200 Euro beauftragt. Es ergab eine Abweichung von 9,8%. Der Verkäufer musste den Kaufpreis um 43.500 Euro senken - bei einem Gesamtkaufpreis von 450.000 Euro. Das Gutachten hat sich also in 2 Monaten amortisiert.
Wenn der Verkäufer nach dem Kauf eine Abweichung leugnet oder sich weigert, den Preis anzupassen, müssen Sie rechtlich vorgehen. Der BGH hat entschieden: Der Verkäufer trägt die Beweislast. Er muss nachweisen, dass die Fläche stimmt - nicht Sie.
Ein Käufer aus Frankfurt hat nach dem Kauf festgestellt, dass sein Balkon zu 100% statt zu 25% angerechnet wurde. Der Verkäufer sagte: „Das steht doch im Vertrag.“ Doch der Vertrag hatte keine Methode genannt. Das Landgericht Frankfurt entschied: Die Angabe ohne Berechnungsgrundlage ist unwirksam. Der Käufer bekam 60% der Überbewertung erstattet.
Rechtliche Schritte sind kein Horror. Die meisten Fälle werden außergerichtlich geregelt - wenn Sie ein Gutachten vorlegen. Ohne Gutachten haben Sie kaum Chancen. Mit Gutachten haben Sie fast immer Recht.
Die WoFIV wird sich ändern. Die Bundesregierung plant eine Überarbeitung, um moderne Wohnformen wie Lofts, Dachgeschosswohnungen und offene Grundrisse besser abzubilden. Der Entwurf liegt seit Herbst 2023 vor. Doch bis er gilt, bleibt die WoFIV 2014 gültig.
Die Digitalisierung macht die Berechnung präziser. Software wie „Wohnflächen-Check“ von der Deutschen Institut für Bautechnik wird von bereits 45,3% der Gutachter genutzt. Sie senkt die Fehlerquote von 8,3% auf unter 5%. In Zukunft wird es 3D-Scans geben - mit Laser-Messungen, die jede Ecke, jede Dachschräge und jede Nische genau erfassen. Bis 2025 soll die Präzision um 62,3% steigen, laut Fraunhofer-Institut.
Das bedeutet: In einigen Jahren wird es kaum noch Streit um Wohnflächen geben. Aber heute - heute müssen Sie selbst aufpassen.
Immobilien sind die größte Investition im Leben. Und die Wohnfläche ist der zentrale Preisfaktor. Wer glaubt, der Makler oder der Verkäufer würde ihn vor Fehlern schützen, irrt. Wer denkt, die Angabe im Vertrag sei verlässlich, riskiert eine teure Überraschung.
Ein unabhängiges Gutachten ist nicht teuer. Es ist notwendig. Es ist die einzige Möglichkeit, sicherzustellen, dass Sie nicht für Fläche bezahlen, die nicht da ist. Und es ist die einzige Waffe, mit der Sie gegen falsche Angaben vorgehen können.
Bevor Sie unterschreiben: Holen Sie das Gutachten. Prüfen Sie den Nachweis. Fragen Sie nach der Methode. Und wenn Sie unsicher sind - zögern Sie nicht. Ein Kauf, der nicht überprüft wurde, ist kein sicheres Geschäft - er ist ein Risiko mit einem hohen Preis.
Nein, eine Abweichung von 5 % ist nicht automatisch akzeptabel. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass bereits Abweichungen von 3 bis 5 % eine Kaufpreisminderung rechtfertigen, wenn die Wohnfläche vertragswesentlich ist - und das ist fast immer der Fall. Die Toleranzgrenze von 10 % ist ein verbreiteter Irrtum. Rechtlich zählt nicht die Größe der Abweichung, sondern ob die vereinbarte Fläche tatsächlich erreicht wurde.
Nein, nicht wenn im Vertrag nicht ausdrücklich vereinbart ist, dass die DIN 277 gilt. Die WoFIV ist die gesetzlich verbindliche Methode in Deutschland. Wenn der Verkäufer die DIN 277 verwendet, ohne das im Vertrag zu nennen, ist die Wohnflächenangabe rechtswidrig. Das Oberlandesgericht Karlsruhe und das Landgericht München haben mehrfach entschieden: Nur die WoFIV ist gerichtsfest. Wer die DIN 277 nutzt, macht sich strafbar und riskiert eine Kaufpreisminderung.
Der Verkäufer trägt die Beweislast. Wenn der Käufer behauptet, die Wohnfläche sei kleiner als angegeben, muss der Verkäufer nachweisen, dass die Angabe korrekt ist. Das hat der Bundesgerichtshof 2015 entschieden. Der Käufer muss nur die Abweichung aufzeigen - etwa durch ein unabhängiges Gutachten. Der Verkäufer muss dann beweisen, dass er die Fläche richtig berechnet hat.
Ja, aber es wird schwieriger. Der BGH sagt: Der Käufer muss den Mangel innerhalb einer angemessenen Frist nach Übergabe rügen. Wenn Sie das Gutachten erst nach Monaten oder Jahren in Auftrag geben, kann der Verkäufer argumentieren, Sie hätten den Mangel zu spät geltend gemacht. Deshalb: Prüfen Sie die Fläche vor der Übergabe - oder spätestens direkt danach. Ein Gutachten nach der Kaufabwicklung ist möglich, aber rechtlich riskanter.
Ein unabhängiges Wohnflächengutachten kostet zwischen 800 und 1.500 Euro. Es lohnt sich immer. Denn eine Abweichung von 5 m² bei 4.500 Euro pro Quadratmeter sind 22.500 Euro. In 42,7 % aller überprüften Fälle liegt die Abweichung über 5 %. Das Gutachten amortisiert sich oft schon bei einer Abweichung von 3 Quadratmetern. Es ist die billigste Versicherung gegen einen teuren Fehler.